Alltag und Identität _ Notizen aus Montréal   zuletzt   6   5   4   3   2   1 
Leo Rosshändler mit zwei Selbstporträts. Foto: Paul Morf Gronert

Leo Rosshändler an seiner Staffelei. Foto: Paul Morf Gronert
Leo Rosshändler. [07.08.2005 pmg] Geboren wurde er vor 83 Jahren in Amsterdam. Aufgewachsen in Berlin und Belgien führte ihn sein weiterer Weg über Frankreich und Spanien nach Kuba und Mexiko und von dort in die USA und schließlich nach Montréal, wo er noch heute lebt - überglücklich, wie er sagt. Vor drei Wochen hatte ich Gelegenheit mit Leo Rosshändler über sein spannendes Leben zu sprechen - in der Sprache seiner Kindheit, auf Deutsch.

Sein Vater stammte aus dem damals zu Polen gehörenden Galizien, die Mutter aus Mährisch-Ostrau. Die Familie hatte polnische Pässe und war gerade in Amsterdam als Leo geboren wurde. Später gingen sie nach Berlin, wo Leo den größten Teil seiner Kindheit verbrachte. Nach der so genannte Machtergreifung der Nazis zogen sie zunächst ein paar Monate nach Marienbad und anschließend zu Verwandten des Vaters nach Antwerpen. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Belgien und Holland 1940 verstecken sie sich zunächst in einer Kellerwohnung in Brüssel. Mit der Hilfe des Konsuls von El Salvador und der Résistance gelang Ihnen schließlich die Ausreise über Paris nach Bordeaux und von dort schließlich - mit weiteren Hindernissen - nach Spanien. von dort aus überquerte Leo Rosshändler schließlich den Atlantik und kam nach Kuba, wo er das Diamantenschleifen lernte. Nach seiner Schätzung gab es damals 18 bis 20.000 jüdische Einwanderer auf Kuba. Nach vier Jahren ging Leo nach Mexiko, während die Familie zunächst noch auf Kuba blieb. In Mexiko-Stadt studierte er an der Kunstschule und begann zu malen. Dort lernte er auch seine erste Frau kennen, die aus einer Familie stammte, die nach dem Zusammenbruch der Republik aus Spanien geflohen war. Seine zweite Frau stammte aus New Orleans. Heute ist er mit einer Französisch-Kanadierin verheiratet.

Ende der vierziger Jahre ging Leo Rosshändler zurück nach Belgien und Paris, um dort festzustellen, dass es in Europa - vor allem nach dem Krieg - nicht besser war als auf auf dem amerikanischen Kontinent.
Als er dann nach Mexiko zurückkehrte, hatte er die Gelegenheit dort in das Kaffeegeschäft einzusteigen, an dessen Aufbau er in der Folge großen Anteil hatte. Nebenbei half er als archäologischer Berater beim Aufbau eines Museums in Jalapa. Als ihn die Kaffeefirma nach New Orleans versetzte, arbeitete er dort ebenfalls für ein Museum. Auf einer Konferenz lernte er den Direktor des Museums für zeitgenössische Kunst in Montréal kennen, der eine Ausstellung zu dreitausend Jahren Lateinamerika plante und Leo Rosshändler 1968 engagierte. Acht Jahre arbeitete er als stellvertretender Direktor im Museum, später betreute er in Montréal die Kunstsammlung eines Unternehmens.

Leo Rosshändler sagt, er möchte eine 'Anti-Identitäts-Partei' gründen. Identität sei so ein schweres Wort, ein schwerer Gedanke, der die ganze Welt verrückt mache. Seines Erachtens heißt Identität, etwas von sich abzudanken, sich anderen zu überlassen. Und auf der anderen Seite suchten die Menschen im Zuge der Globalisierung mehr denn je nach einer Identität. Er selbst habe beschlossen, sich als Kanadier, als Québecer zu betrachten. Die anderen Sachen - die Vergangenheit - seien die Vergangenheit. In der Gegenwart widmet er sich vor allem der Malerei, in seinem Atelier unter dem Dach des schönen Hauses in der Montréaler Innenstadt.

Zweifelsohne eine spannende Lebensgeschichte, über die man viel ausführlicher berichten könnte. Zum Beispiel in einem Buch. Und genau das soll auch geschehen. Eine deutsch-schweizerische Schriftstellerin bereitet zurzeit eine Sammlung von Lebensgeschichten von Juden vor, die in der Nazizeit aus Deutschland fliehen mussten und heute in Montréal leben. In diesem Buch wird auch die Geschichte von Leo Rosshändler zu lesen sein.

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