Alltag und Identität _ Notizen aus Montréal   zuletzt   6   5   4   3   2   1 
Gebannte Blicke auf den Bildschirm. Foto: Paul Morf Gronert
Wahllos. [18.09.2005 pmg] Als um Punkt 18.00 Uhr die ersten Hochrechnungen der Bundestagswahlen im Fernsehen veröffentlicht wurden, war es schon ein bisschen spannend. Da passte es gut, dass es hier 12.00 Uhr mittags war, High Noon sozusagen. Die deutsch-kanadische Industrie- und Handelskammer hatte bereits ab vormittags zur Wahlparty in das Goethe-Institut Montréal geladen. Der zu entrichtende Eintritt war vor allem als Unkostenbeitrag für das Büffet gedacht, das natürlich aus Weizenbier, Bretzeln und Würstchen bestand.

Würstchen im Topf und andere Leckereien auf dem Buffet. Foto: Paul Morf Gronert

Im Kinosaal wurde das Programm des Deutsche Welle Fernsehens auf eine große Leinwand projeziert. Das geschah leider etwas unscharf und mit Doppelkonturen. Doch weder Franz Müntefering, Angela Merkel, Josef Fischer noch Guido Westerwelle sahen dadurch vorteilhafter als sonst aus, während sie vor mehr oder weniger begeisterten Anhängern ihren Wählerinnen und Wählern dankten. Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine bekamen die Zuschauer nicht zu sehen. Vermutlich aus einem Kaltkriegsreflex heraus wurde zur Linkspartei erst gar nicht geschaltet, obwohl sie immerhin die größten Stimmenzugewinne verbuchen konnte.

Auch unter vielen Wahlpartygästen rief das Ergebnis der neuformierten Sozialisten eher Unverständnis und Ablehnung hervor. Die Sympathien waren ansonsten nicht so leicht auszumachen. Einige schienen mit der FDP zu sympathisieren, andere mit Gerhard Schröder. Selbstverständlich drehten sich angesichts des offenen Ergebnisses die allerorten geführten Diskussionen um mögliche Farbkombinationen in einer künftigen Regierung. Jemand vermutete, die SPD werde am Ende doch mit der PDS zusammenarbeiten, zwei andere spekulierten schon über Neuwahlen.

Zwischendurch zeigten die DW-TV-Nachrichten eine afghanische Frau, bzw. eine sprechende Burka, die sich erfreut äußerte, wegen der heutigen Wahlen in Afghanistan das Haus verlassen haben zu können.

Diskutieren im Angesichts der Ergebnisgrafik. Foto: Paul Morf Gronert

Um noch einmal deutlich zu machen, was bzw. wer bei dieser Wahl eigentlich zur Auswahl stand, war am Vormittag eine Aufzeichnung des bahnbrechenden TV-Duells vorgeführt worden. Auf der großen Leinwand hatte man also (noch einmal) sehen können, wie Gerhard Schröder seinen vielleicht letzten Fernsehauftritt als Bundeskanzler absolvierte, gewohnt souverän und etwas gönnerhaft, und wie Angela Merkel ihren ausgerechnet bei Ronald Reagan abgeschriebenen Schlusssatz aufsagte.
Dabei war in der oberen linken Ecke des Bildes der Schriftzug "wahlo5" zu lesen gewesen. Mit einem flüchtigen Blick sah es eher aus wie "wahllos".

Siehe auch Briefwahl

Überblick 5

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